24.03.2025
Manuskript des Vortrags Turbulente Zeiten – Herausforderungen für die deutsche und europäische Sicherheitspolitik am 18.3.2025 von General a.D. Dr. h.c. Klaus Naumann.
(Sperrfrist: 18.3.2025, 2000 Uhr)
Einleitung
Am 24. Februar 2022 sprach der Bundeskanzler in seiner Rede vor dem deutschen Bundestag von einer Zeitenwende, ausgelöst durch Putins rechtswidrigen und verbrecherischen Angriff auf die Ukraine am 22. Februar 2022. In der Tat, es war eine Zeitenwende, denn die bis dahin geltende Sicherheitsarchitektur für Europa, gegründet auf zahlreichen Verträgen mit Russland, wurde durch diesen Angriff in Stücke gerissen. Es begann eine neue Zeitrechnung, doch die Umsetzung der Zeitenwende erfolgte bestenfalls zögerlich und im Bewusstsein der Mehrheit der Deutschen hat sie zumindest bis in den Februar dieses Jahres hinein wohl kaum stattgefunden, anders kann man sich das Wahlergebnis der letzten Bundestagswahl rational kaum erklären. Ein stattlicher Teil der Deutschen will noch immer das bequeme „Weiter So“, das Verharren in der Merkel‘schen Scheinwelt des ewigen Friedens, eines verschwenderischen Wohlfahrtsstaates und des Wohlstands ohne Entbehrung und Opfer.
Spätestens bei der Münchner Sicherheitskonferenz müsste aber jedermann klar geworden sein, dass wir tatsächlich in einer neuen Zeit leben, in einer Zeit, in der es keine regelbasierte Ordnung gibt und in einer Welt, in der wieder das Recht des Stärkeren gilt. Es ist eine kalte Welt, in der sich Autokraten wohl fühlen und in der sich Demokraten warm anziehen müssen, um sich zu schützen.
Die Lage
Wir alle haben die Ereignisse seit dem Auftritt des Vizepräsidenten der USA bei der Münchner Sicherheitskonferenz über den verhandlungstaktisch geschickt inszenierten Eklat in Washington am 28. Februar und dann bis hin zur Entscheidung, alle amerikanischen Waffenlieferungen an die Ukraine erst einzustellen, dann doch wieder aufzunehmen bestürzt, beschämt vom ruchlosen Verhalten eines amerikanischen Präsidenten, empört über die Täter-Opfer Umkehr durch Trump und mit Blick auf unser trotz allem unersetzliches NATO-Bündnis mit wachsender Sorge verfolgt.
Auf Verlangen der amerikanischen Führung ist der ukrainische Präsident inzwischen zu Friedensverhandlungen mit Russland und zu einem Abkommen mit den USA bereit, in der Ukraine wertvolle Rohstoffe zu gewinnen, ohne dafür Sicherheitsgarantien zu erhalten. Russland dagegen führt den brutalen Angriffskrieg fort. Eine Friedenstruppe zur Überwachung eines Waffenstillstands lehnt der Kreml kategorisch ab, den amerikanischen Vorschlag eines Waffenstillstandes wird Putin voraussichtlich ebenfalls ablehnen. Ohne Gegenleistung hat die amerikanische Führung aber bereits politische Forderungen Moskaus übernommen wie die Ablehnung einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, die Abtretung eines Teils ihres Territoriums an Russland und dann, der Gipfel der Treuelosigkeit, das Einbringen und die Annahme einer von den USA eingebrachten Pro-Moskau-Resolution im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Ein Novum, eine Abstimmung mit den Stimmen Russlands und Nordkoreas gegen Amerikas NATO-Verbündete.
Und dennoch, keine der bisherigen Aussagen der USA hat die Sicherheits-partnerschaft mit Europa eindeutig infrage gestellt, wohl aber die Wertegemeinschaft der regelbasierten Ordnung. Deren Kernelement ist das Prinzip, dass keine Grenze mit Gewalt verändert werden darf. Das zu beachten hätte verlangt, die Ukraine vor der Macht des Stärkeren zu schützen, was allerdings auch Europa, vor allem eine Bundesregierung, die Angst vor Putins Worthülsen als Besonnenheit verkaufte, allenfalls halbherzig getan hat.
Auch wenn ein Austritt der USA aus der NATO unwahrscheinlich ist, da die Zwei-Drittel Mehrheit im Senat nicht zu erreichen ist, erhebliche Zweifel an der amerikanischen Beistandsverpflichtung nach Art. 5 des NATO- Vertrags bleiben nach den Ereignissen des Februars und März 2025. Europa bleibt deshalb keine Zeit, es muss rasch aus eigener Kraft verteidigungsfähig werden. Das heißt nun aber nicht, von unserer Seite das Ende der NATO herbeizureden oder rein europäische Rüstungsanstrengungen zu fordern, zu denen Europa derzeit technisch kaum in der Lage ist. Wer das tut, hilft Putin, dessen Ziel es immer war, die NATO zu beseitigen.
Allerdings, in Trumps Welt gelten die Gesetze des Dschungels, also die Macht des Stärkeren und nicht die Kraft des Rechts. In dieser Welt ist Europa ein Konkurrent, den man nach dem alten römischen Prinzip „divide et impera“ schwächen muss, um ihn gefügig zu halten. Ein starkes Europa ist nicht im Interesse Trumps, wenngleich er verstärkte Rüstung Europas fordert, vielleicht auch nur, weil er Käufe bei der leistungsstarken und oftmals überlegenen amerikanischen Rüstungsindustrie erhofft. Damit will er zugleich erreichen, dass Europa nicht durch eigene Innovation in Spitzentechnologie als wirtschaftlicher Konkurrent stärker und in Sicherheitsfragen unabhängiger wird.
Gleichzeitig aber ist Europa eben auch ein Bündnispartner. Das Bündnis bietet den USA vielfache Möglichkeiten, die Entwicklungen in Europa zu beeinflussen und zu kontrollieren. Das aufzugeben wäre gegenüber einem Konkurrenten sehr unklug.
Aber es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: Die NATO, das Bündnis der USA mit Europa und Kanada ist sozusagen das globale Musterbeispiel einer erfolgreichen Allianz. Würde Amerika es aufkündigen oder schwächen, dann würde es in seinem Bündnisgeflecht im asiatisch-pazifischen Raum einen destabilisierenden Schock auslösen und sich so gegenüber seinem einzigen echten Konkurrenten auf dieser Welt, China, schwächen. Die USA dürften deshalb zwar formal an ihrer Beistandsverpflichtung festhalten, zugleich aber die Ungewissheit über Ausmaß und Zeitpunkt des Einlösens ihrer Schutzgarantie für Europa, vor allem der nuklearen, aufrechterhalten. Damit zwingen sie Europa, nun die seit mehr als 20 Jahren geforderten Anstrengungen zur eigenen Verteidigung endlich wahr zu machen und signalisieren zugleich Russland, dass Europa keineswegs die nächste Beute Russlands sein kann. Diese friedenserhaltende Ungewissheit ist der Hintergrund des vermutlichen Deals mit Russland, dem für eine Waffenruhe in der Ukraine gewisse territoriale Zugeständnisse zu Lasten der Ukraine gemacht werden und von dem im Gegenzug amerikanischer Zugang zu russischen Rohstoffen, einschließlich Gas und Öl, gefordert werden. Letzteres braucht Trump als ein Instrument, um die Zinsen weltweit niedrig zu halten, denn nur so kann er seine Achilles-Ferse schützen, die enormen Schulden der USA. Steigende Zinsen wären Gift für seine innenpolitischen Versprechungen. Dafür lässt er die Ukraine im Stich, an deren Seite er in seiner ersten Amtszeit stand, ganz im Gegensatz zu Obama, der damals auf die Annexion der Krim 2014 so gut wie nicht reagierte. Trumps zwischenzeitlich zurückgenommene Entscheidung, die Hilfe für die Ukraine einzustellen um Russlands geneigt zu machen ist nicht nur schäbig, sie ist verwerflich, denn deshalb starben Menschen in der Ukraine, die man hätte schützen können.
Putin kennt Trumps Achillesferse, seine Gier nach Rohstoffen und seine Hast den Konflikt in der Ukraine schnell zu beenden, er wird deshalb keinem Waffenstillstand zustimmen, sondern auf Zeit spielen.
Trifft diese Einschätzung zu, dann heißt das allerdings für uns, also Deutschland ebenso wie Europa, dass auf diese USA nicht mehr uneingeschränkt Verlass ist, denn die einzige Berechenbarkeit Trumps ist seine Unberechenbarkeit. Mit dem jüngsten hin und her zu Waffenlieferungen für die Ukraine unterstrich Trump seine Unberechenbarkeit: Heute Hüh, morgen Hott. Das ist noch nicht einmal geschickte Verhandlungstaktik, aber für Partner in Lebensgefahr kann das tödlich werden.
Es ist nun nüchtern zu entscheiden, ob und was zu tun ist, um weiteren Schaden in den transatlantischen Beziehungen zu verhindern. Auf jeden Fall ist es viel zu früh, unser noch immer unersetzliches NATO-Bündnis tot zu reden. Wir stehen aber ganz gewiss vor der Zeitenwende 2.0, nicht vor einem Bruch, aber doch vor einer Situation, in der beide Seiten beschädigtes Vertrauen wiederherstellen müssen. Ein Schritt dazu müsste die erneute Bekräftigung zweier Kernelemente durch die NATO sein: Erstens, keine Grenze darf mit Gewalt verändert werden und zweitens, jeder Staat ist frei zu entscheiden, zu welchem Bündnis er gehören will. Diese beiden Punkte dürfen für keinen noch so lukrativen Rohstoffdeal verhandelbar sein.
Der Ausgangspunkt aber ist unverändert: Europa ist und bleibt für seine Sicherheit bis auf weiteres von den USA abhängig. Europa ist frühestens gegen Ende des Jahrzehnts in der Lage sich selbst zu schützen, vorausgesetzt, es handelt jetzt schnell und entschlossen, um kriegsfähig zu werden. Bis dahin braucht Europa die Rückendeckung der USA, vor allem die nukleare.
Dazu müssen die Europäer und die USA nun gemeinsam beurteilen, was auf dem Spiel steht.
Ein vollständiger Erfolg in der Ukraine würde Putin in seinem imperialen Wahn bestärken. Seine Ziele, das Rad der Geschichte auf 1997 zurückzudrehen, hat er im Dezember 2021 klar genannt und davon weicht er nicht ab. Im Klartext will Putin die NATO zerstören, die Europäische Union spalten und die Amerikaner und ihre Nuklearwaffen aus Europa zu verdrängen. Solange diese Ziele bestehen, kann es keine Sicherheit mit, sondern nur Sicherheit vor, also gegen Russland geben. Putin hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und rüstet für einen Krieg in Europa, denn eine Zukunft hat er nur im Krieg. Er braucht einen äußeren Feind, eine angebliche Bedrohung, um alle Regungen in Richtung Demokratie zu unterdrücken. Nichts fürchtet er mehr als von Freiheit infizierte Russen.
Das ist die Ausgangslage und die verlangt so schnell wie möglich konventionelle Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung herzustellen. Das heißt vor allem die nukleare Rückendeckung der USA zu sichern, die es Putin verwehrt, mit Atomwaffen zu drohen. Die vorhandenen europäischen Atomwaffen reichen dafür nicht aus. Sie können vermutlich Krieg durch unermesslichen Schaden für Russland verhindern, nicht aber nukleare Erpressung vor einem zunächst begrenzten Krieg. Die nukleare Teilhabe an der Abschreckungsmacht der USA bleibt deshalb bis auf weiteres unersetzlich, ja sie ist sogar Voraussetzung der französischen Atomstrategie.
Die nun zahlreichen Rufe nach europäischer Verteidigungsfähigkeit, nach einer Europa-Armee oder gar eigenständiger europäischer nuklearer Abschreckung sind bis auf die nuklearen Gedankenspiele theoretisch richtig, aber sie sind, wenn überhaupt, frühestens im nächsten Jahrzehnt erreichbar. Bis dahin bleibt Europa zumindest in den nächsten beiden Jahren bis zu den Midterm Elections sogar in seiner konventionellen Verteidigungsfähigkeit abhängig von den USA.
Was ist zu tun?
Was bleibt, ist die Bedrohung durch Russland, sie steht vor der Tür, dennoch lauschen noch immer viel zu viele Deutsche entrückt der Bordkapelle auf dem Deck der Titanic.
Europa, Deutschland vor allem, müssen daher ganz schnell Wege finden wie man auch mit Trump Sicherheit für Europa gestalten kann, auch, weil Niemand derzeit sagen kann, ob ein Nachfolger Trumps anders denken und handeln wird und auch weil heute niemand sagen kann, ob Europa nun endlich die seit fast zwei Jahrzehnten fehlende Entschlossenheit, auf eigenen Beinen zu stehen, aufbringen und durchhalten kann.
Ausgangspunkt dafür muss ein Blick auf die beiderseitigen Sicherheitspolitischen Interessen sein, um daraus abzuleiten, welche Gemeinsamkeiten bestehen und was zu tun ist, um diese zu erhalten und zu festigen.
Europa braucht wie bereits gesagt, erstens und vor allem, jetzt und bis auf weiteres den Schutzschirm der amerikanischen Nuklearmacht, um Russlands nukleare Fähigkeiten auszugleichen und nukleare Erpressung verhindern zu können.
Europa braucht, zweitens, die Beherrschung des Atlantiks und der Ausgänge aus dem Arktischen Ozean von Grönland bis zu den Azoren, weil nur so Europa strategisch zu verteidigen ist. Die strategisch entscheidende Dimension europäischer Sicherheit liegt im Atlantik und die ist nur zu erreichen, wenn die USA und Kanada an der Seite Europas stehen.
Europa kann damit aber nur rechnen, wenn es ein strategisches Interesse der USA an Europa gibt. Dafür gilt noch immer Henry Kissinger: Nationen kennen keine Freundschaften, nur Interessen, aber diese Interessen gibt es.
Als Erstes ist da die Geostrategie zu nennen. Europa ist eine der beiden Gegenküsten der USA und Kanadas. Die USA sind die einzige globale Seemacht und als solche müssen sie beide Gegenküsten, also die atlantische wie die pazifische kontrollieren können. Das Bündnis mit Europa sichert die atlantische und hält so den USA den Rücken frei, sollte China in einem Konflikt mit den USA versuchen, ein Bündnis mit Russland zu schmieden, um den Amerikanern ihre europäische Gegenküste wegzunehmen. Der Verlust Europas würde die USA verwundbar machen und würde den USA die Basis für die für die noch immer unersetzliche Machtprojektion in den Raum des erweiterten Nahen Ostens, also zum Zu- und Ausgang zum/aus dem Indischen Ozean, nehmen. Das wäre das Ende globaler amerikanischer Vormacht, der einzigen Macht dieser Welt, die geschützt von zwei Weltmeeren in allen fünf Dimensionen moderner Kriegsführung global kämpfen kann, also zu Land, in der Luft, auf See, im Cyberspace und im Weltraum.
Als zweites strategisches Interesse ist das Gewicht Europas als Handelspartner und als Empfänger wie Geber gewaltiger Investitionen in Billionenhöhe zu nennen. Beide Seiten mögen sich über Zölle streiten, aber beide Seiten können es sich nicht leisten, sich als Wirtschaftspartner zu verlieren. Europas Wirtschaftskraft ist zehnmal so groß wie die russische und dahinter steht die Innovationsfähigkeit von über 400 Millionen freier Menschen. Auch das zu behalten, ist amerikanisches Interesse.
Schließlich, drittens, Europa hat durchaus einige militärische Fähigkeiten, die die USA nicht unbedingt im Lager ihrer Gegner wissen wollen und über deren technische Entwicklung sie unverändert Bescheid wissen wollen. Das gelingt am einfachsten durch das NATO-Bündnis, das den USA zwar Beistand abverlangt, aber auch Kontrolle ermöglicht. In Zeiten rasanter technischer Entwicklungen, die es auch für David möglich machen könnten, präventive strategische Lähmung Goliaths zu erreichen, kann somit der Aspekt Kontrolle sogar strategisches Gewicht erlangen.
Es gibt also eine Ausgewogenheit der beiderseitigen Sicherheitsinteressen, die für die Beibehaltung und Festigung des atlantischen Bündnisses sprechen, vorausgesetzt allerdings, dass beide Seiten bereit sind, ihre Fähigkeiten für den Partner einzusetzen, wenn beiderseitige Interessen dies gebieten. Dies erscheint weiterhin möglich, wenngleich konfliktbeladen, weil das amerikanische Prinzip, der Macht des Stärkeren Vorrang einzuräumen dem europäischen Denken entgegensteht, Macht zu nutzen, um Recht durchzusetzen. Darüber wird zu sprechen sein, nicht als Bittsteller, sondern auf Augenhöhe, gestützt auf europäische Wirtschaftskraft und wachsende europäische konventionelle Verteidigungsfähigkeit.
Die Erwartungen
Welche Erwartungen hat vor diesem strategischen Hintergrund ein parteiungebundener Deutscher wie ich an die Sicherheitspolitik der neuen Bundesregierung?
Hierzu zwei Punkte vorab: Erstens, es muss nun sehr schnell ernst gemacht werden mit der Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr und unseres Landes, – und das ist weit mehr als nur Rüstung für die Bundeswehr -, und,
zweitens, die Ukraine muss weiterhin unterstützt werden, denn ihr Kampf schwächt Russland, gewinnt Zeit für uns und schützt so auch unsere Freiheit.
Daraus folgt, dass es töricht wäre, nur noch europäisches Rüstungsmaterial zu kaufen, es muss beschafft werden, was auf dem Markt das Beste ist und gleichzeitig eine europäische konsolidierte Rüstungsindustrie aufgebaut werden.
Nach einem im Verteidigungsministerium verlorenen ersten Jahr der Ampel hat ein energischer neuer Minister gegen zahlreiche Widerstände aus seiner Partei den Wiederaufbau der seit dem Anfang des Jahrtausends vernachlässigten und schwer beschädigten Bundeswehr eingeleitet. Mit Zustimmung der größten Oppositionspartei wurde ein Sondervermögen beschlossen und zahlreiche Beschaffungsvorhaben deutlich beschleunigt. Dennoch bleiben viele Mängel, es fehlt nachhaltige langfristige Finanzierung und Beschaffungen dauern noch immer viel zu lange. Deshalb Stand heute: Weder Deutschland noch Europa können ohne den Beistand der USA gegen ein imperiales Russland verteidigt werden. Das müssen alle im Auge behalten, die nun das Finanzpaket der künftigen Regierung erst einmal dem Bundesverfassungsgericht vorlegen wollen.
Das von der Ampel-Regierung beschlossene Ziel Verteidigungsfähigkeit, in der von der Ampel erstmals beschlossenen Nationalen Sicherheitsstrategie gesetzt, ist unverändert gültig. Die Umsetzung aber blieb mangelhaft. Man ist zögernd, behindert von Russlandverstehern in der abgewählten größten Regierungspartei und stets reaktiv vorgegangen. Der erhobene Führungsanspruch in Europa war so nicht zu verwirklichen, nicht zuletzt, weil die entscheidende deutsch-französische Verbindung vernachlässigt wurde. Angebliche moralische Überlegenheit konnte die Diskrepanzen zwischen Worten und Taten nicht verschleiern, durch das ständige Zögern und durch erkennbare Angst vor eigener Entschlossenheit wurden das einst hohe Ansehen Deutschlands und sein stattlicher Einfluss im Bündnis, auch in der allerdings verteidigungspolitisch bedeutungslosen EU, weitgehend verspielt. Für ein Land, das in den entscheidenden Komponenten seiner Sicherheit von den USA abhängig ist und bleibt, ist das fatal.
Das ist nun nachhaltig und umgehend zu korrigieren. Die ersten Andeutungen aus den Sondierungsgesprächen sprechen dafür, dass die neue Bundesregierung es versuchen wird. Auch die Kontakte des voraussichtlich neuen Bundeskanzlers mit Frankreich zeigen an, dass man gemeinsam Großbritannien an Bord holen will und dann mit Polen, vielleicht auch mit Italien und anderen Willigen wie den Niederlanden, Skandinaviern und den Balten, den Weg eines „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ zu gehen. Das wäre ein Europa, in dem die Mehrheit entscheidet, also schnell, während der Rest des Geleitzugs bei der Einstimmigkeit der EU bleibt und so Gefahr läuft, den Zug zu verpassen.
Ich denke diese Entscheidung ist überfällig, weil Eile geboten ist, um, erstens, einen Sieg Russlands in der Ukraine zu verhindern und, zweitens, nicht durch den Zwang zur Einstimmigkeit Zeit zu verlieren. Die hat Europa nicht, denn die übereinstimmende Beurteilung aller Nachrichtendienste ist, dass Russland nach einem Sieg, vielleicht nur einer Waffenruhe in der Ukraine die Entschlossenheit des Westens schon bald, spätestens aber am Ende des Jahrzehnts testen könnte. Würden Europa und Deutschland nun aber rasch handeln, dann würde Europa für die USA wieder ein ernst zu nehmender Partner, vor allem aber ein Gegner, den auch ein imperiales Russland besser nicht testen sollte.
Ich bleibe deshalb bei meinen bereits genannten zwei Schritten:
Schritt eins, Stärkung der europäischen und deutschen Verteidigungsfähigkeit und weitere Unterstützung der Ukraine.
Schritt zwei, Aufbau einer Abschreckungsfähigkeit gegenüber Russland, die deutlich macht, dass jeder Angriff auf NATO-Gebiet für Russland unermesslichen Schaden in Russland bedeutet und es damit nichts und einen Krieg gegen die NATO ohnehin nicht gewinnen kann.
Das bedeutet umfassende Luftverteidigung, auch gegen Hyperschallwaffen, weitreichende konventionelle Waffenwirkung gegenüber Russlands Kernland und die Fähigkeit zu umfassendem, elektronischem Schutz bis hin zur Lähmung des Gegners.
Die NATO bliebe damit ein Bündnis zur strategischen Verteidigung, das allerdings operativ mit allen Mitteln der Disruption versuchen wird, Krieg zu verhindern und, wenn angegriffen, zu gewinnen. Das Festhalten am Konzept der nuklearen Teilhabe ist dazu ebenso notwendig wie die allerdings noch umstrittene, nun vielleicht bei Trump offene Entscheidung, amerikanische Flugkörper mittlerer Reichweite in Deutschland zu stationieren und zusätzlich so schnell wie möglich gemeinsam mit europäischen Partnern ein entsprechendes europäisches System zu entwickeln.
Das bedeutet im politischen Entscheidungsprozess aber auch, die unverändert gültigen Grundsätze des Krisenmanagements zu beachten, also initiativ statt reaktiv zu handeln, risikobereit zu sein, über Eskalationsdominanz zu verfügen und das Staatsgebiet des Angreifers niemals als Sanktuarium zu sehen. Zusätzlich müssen alle Möglichkeiten einer Erweiterung der nuklearen Abschreckung durch die europäischen Atommächte geprüft werden, wie beispielsweise die Ausstattung der deutschen Träger im künftigen europäischen Luftwaffen-Systems FCAS mit französischen Atomwaffen, auch wenn über deren Einsatz unverändert nur der französische Präsident entscheidet. In Russlands Risikobeurteilung wäre das ein zusätzliches friedenserhaltendes Element der Ungewissheit.
Außerdem sind die neuen Dimensionen der Kriegführung zu nutzen. Hybride Operationen und Cyberoperationen verlangen lange vor einem herkömmlichen Krieg gegebenenfalls präventiv, vielleicht sogar prä-emptiv zu handeln.
Schließlich, Deutschlands Sicherheits- und Außenpolitik war bislang regional. Aber wer Führungsnation Europas sein will, muss global denken und handeln. Sich auf Europa und militärische Verteidigung zu beschränken, greift zu kurz. Frankreich und Großbritannien handeln seit langem global, wenn Deutschland Partner auf Augenhöhe sein will, dann muss es das auch tun.
Diese Forderungen umzusetzen, werden deutlich höheren Finanzaufwand und insbesondere die Lösung des dringenden Personalproblems der Bundeswehr verlangen. Vor allem auch, weil die erkennbaren Lücken im Kampf mit und gegen Drohnen, in Cyber Operations und bei der Nutzung künstlicher Intelligenz geschlossen werden müssen. Zusätzlich ist die wegen des neuen Seeraumes eisfreier Arktischer Ozean und der Präsenz im Indo-Pazifik, gemeinsam mit europäischen Partnern, die zwingend gebotene Verstärkung der Marine zu bedenken. Die neue Regierung will die finanziellen Grundlagen schaffen, aber sie wird auch über die gebotene allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen nachdenken müssen.
„Whatever It Takes“ ist ein guter Grundsatz, um Autokraten abzuschrecken. Dem dient das Ziel: Die Bundeswehr muss in allen fünf Dimensionen nachhaltig kämpfen können: Land, Luft, See, Weltraum und Cyberspace. Sie muss zusammen mit den Verbündeten in der Lage sein, Russland durch die Androhung unermesslichen Schadens von allen Angriffen auf das NATO-Gebiet abzuschrecken, Europa weitgehend selbstständig zu verteidigen und sie muss Beiträge da leisten, dort wo der unersetzliche amerikanische Verbündete die Hilfe der Europäer braucht. Das verlangt nicht nur die Mittel, sondern vor allem die Entschlossenheit und den Willen, sie auch szu nutzen. Dazu ist jetzt schnell zu handeln, nicht auf langwierige bürokratische Entwicklungsprojekte zu setzen, sondern das zu nehmen, was der Truppe höchstmögliche Leistungsfähigkeit so schnell wie möglich gibt. „Whatever It Takes” ist also zu ergänzen durch „Wherever it comes from“.
Vorsorglich ist zudem einzubeziehen, wie die Zukunft der Ukraine zu gestalten ist, denn ihre Sicherheit vor künftigen russischen Übergriffen ist europäisches Kerninteresse. Ohne deutsche Mitwirkung ist diese Aufgabe unlösbar.
In diesem Zusammenhang muss auch geprüft werden, ob Deutschland und seine Partner in der EU bereit sind, die beiden Kernelemente der Vereinbarung von Helsinki, die Kernstücke europäischer Sicherheit preiszugeben: Keine Veränderung von Grenzen und jeder Staat ist frei in seiner Entscheidung, zu welchem Bündnis er gehören. Mein Rat wäre, ich wiederhole mich, sie beizubehalten. Europa würde dann zur vielleicht letzten Insel, auf der eine regelbasierte Ordnung gilt.
All diese Entwicklungen berühren nicht nur Europa, deswegen ein sehr kurzer Blick ins ferne Asien.
Trump will die NATO als Kontrollinstrument Europas erhalten, ohne sich zu binden. Damit will er seine Ostküste schützen und gleichzeitig seinen Verbündeten in Asien zeigen, dass er Bündnisse beibehält, sie sich also weiter auf ihn verlassen können. Deren Abhängigkeit braucht er, um auch in Asien Deals erzwingen zu können.
Ich nehme an, China wie Indien durchschauen dieses Spiel.
China wird Trump deshalb zunächst nicht in Taiwan testen. Es wird geduldig warten, auch weil es wirtschaftlich wie militärisch gegenwärtig zu schwach für ein taiwanesisches Abenteuer ist. Sollte Trump bei den Midterm Elections geschwächt werden, dann dürfte China seine Optionen neu beurteilen, denn das Ziel der „Wiedervereinigung“ bleibt.
Bis zu den Midterms wird auch Indien abwarten und erst dann entscheiden, ob es in der nun beschleunigten Formung einer neuen Weltordnung eher Europa oder die USA unterstützen wird.
Deren Gestaltung wird vor allem von Europa abhängen. Es muss nun endlich die Kraft aufbringen, geschlossen zu handeln und seine volle Handlungsfähigkeit herzustellen, auch in einer Welt, in der bis auf weiteres nur das Recht des Stärkeren gilt. Nur so kann es auf Augenhöhe mit den USA sprechen, wird von China ernst genommen und kann Russland abschrecken.
Auf uns alle kommt es an
Schließlich, Sicherheit bedeutet nicht nur durchhaltefähiges Militär, sondern eine leistungsfähige europäische Rüstungsindustrie, einen ausreichenden Zivilschutz und eine digitalisierte Gesellschaft, damit man auf das Unerwartete blitzschnell reagieren kann und so maximalen Schutz für die verwundbare Kritische Infrastruktur, vor allem aber für die Menschen erreichen kann. Alles in allem, es ist eine Herkules Aufgabe, die sich der neuen Regierung, Europa, aber vor allem seinen Menschen stellt.
Hinzu kommen die Reformen im Inneren. Unser Staat muss auch wieder für die jungen attraktiv werden, nicht nur für die Rentner. Es muss ein innovativer Staat sein, der Er seinen Vermögen nichts in den Konsum steckt. Und schließlich, es muss wieder ein Staat werden, für den seine Bürger eintreten, den sie so wie die Finnen schützen wollen, zu mehr als 70%, nicht wie bei uns zu knapp 25 %.
Aber es ist eine machbare Aufgabe und deswegen muss am Ende der Botschaft nicht der Berg der Probleme stehen, sondern die Zuversicht, ja, die Gewissheit, dass wir es schaffen können. Das können wir, diesmal aber nicht als hohle Phrase der Hilflosigkeit gesagt, sondern als Signal unbeugsamer Entschlossenheit.
Entscheidend wird vor allem sein, die Menschen mitzunehmen bei dieser zweiten Zeitenwende. Das ist natürlich Aufgabe der uns führenden Politiker, aber jeder von Ihnen kann und muss mitwirken. Wir müssen unseren Mitbürgern sagen, wie groß die Gefahr ist, aber dass sie zu bewältigen ist. Das ist die entscheidende Voraussetzung für die Umsetzung der so dringend geboten Zeitenwende. Wir alle müssen sie wollen, wir müssen erneut begreifen, dass Freiheit zu erhalten und zu schützen ist, dass uns das aber nichts geschenkt wird. Wir müssen uns Sicherheit zum Schutz unserer Freiheit erarbeiten. Opfer dafür sind unvermeidlich, aber sie lohnen sich. Dafür kann man Mehrheiten gewinnen, wenn man ihnen endlich die Wahrheit sagt, wie groß die Gefahr ist, aber Deutschland sie meistern kann. Dann werden sie zustimmen, dass Sicherheit zwar nicht Alles ist, aber ohne Sicherheit alles nichts ist.
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