Infolge von nationalsozialistischer Herrschaft, Angriffskrieg und Niederlage war die deutsche Gesellschaft fünfzehn Jahre lang politisch und kulturell isoliert gewesen. Es gab einen immensen Nachholbedarf, sich über die Entwicklungen im Ausland zu informieren und endlich wieder Kontakte zu internationalen Partnern knüpfen. Eine Gruppe von Persönlichkeiten unterschiedlicher politischer Orientierung fasste am 17. Juni 1948 den Beschluss, den gemeinnützigen Verein der „Gesellschaft für Auslandskunde“ in München zu gründen. Ziel war die „objektive Unterrichtung des deutschen Volkes über die anderen Nationen, ihre Denkart, ihre materiellen, geistigen und moralischen Kräfte.“
Die Gründungsmitglieder waren auf verschiedene Weise aktiv am Wiederaufbau des pluralistischen politischen Lebens in Deutschland beteiligt:
Dr. Thomas Dehler, Landesvorsitzender der FDP in Bayern; Hilde Heilmann, Konzertpianistin; Waldemar von Knoeringen, SPD-Landtagsabgeordneter; Dr. Otto Lenz, Rechtsanwalt; Dr. Hans Menzel, Leiter des Landesarbeitsamtes in München; Dr. Friedrich Wilhelm von Prittwitz und Gaffron, CSU-Landtagsabgeordneter; Dr. Otto Schniewind, Bankier.
Bereits kurz nach Kriegsende sammelten sich in Bayern Sozialdemokraten, Kommunisten, Liberale und Anhänger christlich-sozialer Politik, um neue Zusammenschlüsse zu bilden. Mit Erlaubnis der Besatzungsbehörden entstand eine neue demokratische Parteienlandschaft. Friedrich Wilhelm von Prittwitz und Gaffron wirkte an der Gründung der CSU mit, Thomas Dehler baute die FDP mit auf, Waldemar von Knoeringen die SPD und Otto Lenz die CDU. Als führende Parteipolitiker und Abgeordnete gestalteten sie die bayerische Landespolitik und prägten die Regierungszeit Konrad Adenauers.
Waldemar von Knoeringen und Thomas Dehler wurden im Juni 1946 in die Verfassunggebende Landesversammlung Bayerns gewählt und im Dezember 1946 in den Bayerischen Landtag.
Nach dem verlorenen Krieg und dem Untergang des „Dritten Reiches“ lag Deutschland 1948 in Trümmern. Auch München war weitgehend zerstört. Erst allmählich begann der Wiederaufbau. Otto Schniewind übernahm 1948 die Leitung der neugegründeten „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ (KfW) und die Koordinierung des Marshall-Plans. Hans Menzel war von 1945 bis 1954 Präsident des Arbeitsamtes Südbayern in München.
Der politische Neuanfang in Deutschland wurde vom heraufziehenden Kalten Krieg überschattet. US-Präsident Harry S. Truman verkündete 1947 die Doktrin, die „freien Völker“ zu unterstützen, um den Kommunismus einzudämmen. Die Sowjetunion propagierte daraufhin die „Zwei-Lager-Theorie“. Damit war der Ost-West-Konflikt, der vierzig Jahre lang die internationale Politik prägte, vorgezeichnet.
Auch die Teilung Deutschlands wurde besiegelt: Im Frühjahr 1948 beschloss die Sechsmächtekonferenz ein bundesstaatliches System für Westdeutschland und dessen Aufnahme in den Marshall-Plan. Die Währungsreform legte am 20. Juni 1948 den Grundstein für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Westdeutschlands. Die Sowjetunion reagierte im Juni 1948 mit einer Blockade aller Land- und Wasserverbindungen nach Westberlin.
Die Mehrzahl der Deutschen musste sich in Spruchkammerverfahren der „Entnazifierung“ unterziehen. Die Amerikaner entwickelten in ihrer Zone hierfür ein strenges Verfahren. Thomas Dehler wurde 1945 Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht Bamberg und fungierte 1946/47 als Generalankläger im Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben, also Entnazifizierung.
Die „Entnazifizierung“ wurde am 31. März 1948 eingestellt. Viele Verfahren wurden nie abgeschlossen.
Auf der Insel Herrenchiemsee tagte im August 1948 der Verfassungskonvent zur vorbereitenden Beratung des Grundgesetzes. Für Bayern saß auch Thomas Dehler in diesem Gremium. Am 8. Mai 1949 verabschiedete der Parlamentarische Rat in Bonn das Grundgesetz. Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 1949 besiegelte für vier Jahrzehnte die Teilung Deutschlands.
Der erste Bundespräsident Theodor Heuss hatte die außenpolitische Aufgabe, das schlechte Ansehen der Deutschen in der Weltöffentlichkeit zu verbessern.
Nach mehr als einem Jahrzehnt nationalsozialistischer Propaganda gab es einen immensen Bedarf an unabhängigen Informationen und offenem Meinungsaustausch. Hilde Heilmann gründete für die Mitglieder der Gesellschaft eine Bibliothek mit über 2000 Bänden und mehr als 120 internationalen Zeitungen und Zeitschriften.
Am 2. August 1948 wurde die Gesellschaft für Auslandskunde formal gegründet. Friedrich Wilhelm von Prittwitz und Gaffron wurde zum Vorsitzenden und Hilde Heilmann zum Geschäftsführenden Vorstandsmitglied gewählt.
Ziele der Gesellschaft waren laut Satzung:
Die Gesellschaft veranstaltete eine Vielzahl an Vorträgen, Diskussionsveranstaltungen und Club-Abenden, zunächst in der Privatwohnung der Familie Heilmann in der Mühlbauerstraße, wo auch ein Leseraum für Zeitungen, Zeitschriften und Bücher entstand. 1953 zog die Gesellschaft in eigene Räumlichkeiten in der Seidlstraße um. Nach mehreren Umzügen befindet sich die Geschäftsstelle heute in der Fürstenstraße. 1950 zählte die Gesellschaft für Auslandskunde bereits 180 Mitglieder.
Innerhalb weniger Jahre baute die Gesellschaft Verbindungen zu zahlreichen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren auf, darunter Partnerorganisationen wie dem Royal Institute of International Affairs (Chatham House) und dem Institute of International Affairs in London, dem Council on Foreign Relations in New York, der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden in Genf, dem Centre d’Études de Politique Étrangère in Paris und vielen anderen.
Die Gesellschaft für Auslandskunde spielte eine wichtige Rolle dabei, die Zivilgesellschaft über internationale Entwicklungen zu informieren sowie die Grundlagen einer auf internationalen Austausch und Verständigung gerichteten Außenpolitik zu legen. Nicht zuletzt durch ihre Aktivitäten entwickelte sich München zum Zentrum der auswärtigen Kulturpolitik Bayerns. Seit 1952 wurde sie von der Bayerischen Staatskanzlei und 1956 dem Auswärtigen Amt finanziell gefördert. Auch die Stadt München und der Bayerische Rundfunk gehörten zu frühen Unterstützern.
Zwischen 1959 und 1965 leitete Professor Alfred Marchionini (1899-1965) die Gesellschaft für Auslandskunde. Der international renommierte Dermatologe setzte sich auf vielen Ebenen für den internationalen wissenschaftlichen, kulturellen und menschlichen Austausch ein, besonders auch für die deutsch-französische Freundschaft.
Der entschiedene Gegner des Nationalsozialismus war 1938 wegen der jüdischen Herkunft seiner Frau Tilde in die Türkei emigriert. Er folgte einem Ruf als Leiter der Dermatologie an die Universität Ankara. 1948 kehrte er nach Deutschland zurück, zunächst an die Universität Hamburg, 1950 als Ordinarius für Dermatologie an die Ludwig-Maximilians-Universität. 1954/55 wirkte er dort auch als Rektor.
„Als überzeugter Anhänger Europas und Freund Frankreichs“, wie er sich selbst bezeichnete, lud er im Februar 1955 Professoren und Studierende der Universität Sorbonne zu einer Universitätswoche nach München. Er wollte den Gedankenaustausch „jenseits aller Rassen und Nationen“ fördern, das Misstrauen gegenüber der Wissenschaft in Deutschland abbauen und München als „eines der kulturellen Zentren Europas“ etablieren. Bei der Eröffnung der Universitätswoche versammelte sich in der Großen Aula „alles, was in München Rang und Würde besitzt, so vollzählig wie wohl noch nie nach dem Krieg“, schrieb „Die Zeit“. In zwei Ausstellungen und etlichen Vorträgen über die bayerisch-französischen Kulturbeziehungen wandte sich Universitätswoche an ein breiteres Publikum und erreichte mehr als 18 000 Menschen. Das Presseecho war gewaltig und ausschließlich positiv: in München werde der Weg zu echter europäischer Zusammenarbeit gewiesen. Als Dank für seine Verdienste für die Völkerverständigung wurde Marchionini zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt. Alfred Marchionini ist auf dem Münchner Waldfriedhof begraben. Die Straße, an der das Klinikum der Universität München in Großhadern liegt, trägt seinen Namen.
Ebenso veranstaltete die Gesellschaft regelmäßige Einladungen parlamentarischer Vertreter verschiedener Parteien in der Reihe „Britische Parlamentarier sprechen“.
Die neue Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung eröffnete auch dem Freistaat neue Möglichkeiten, die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks und Jugoslawien auszuweiten. Im Kontext des Ost-West-Konflikts präsentierte sich Bayern als „Brücke“ zu den ost- und südosteuropäischen Ländern.
Am 20. Mai 1969 hielt Außenminister Willy Brandt vor der Gesellschaft für Auslandskunde eine Rede zur Außenpolitik der Großen Koalition. Er betonte die Notwendigkeit guter Beziehungen zu Frankreich und die Vollendung, die Erweiterung und die Vertiefung der Europäischen Gemeinschaften.
In den 1970er und 1980er Jahren stand die Tätigkeit der Gesellschaft im Zeichen internationaler Entspannungsbemühungen und dem neu aufscheinenden Nord-Süd-Konflikt.
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