Amerika vor der Wahl – Für welche Republik wollen sie stehen?

13.02.2020

Von Norman Blevins, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog der Hanns-Seidel-Stiftung

 

Die Vereinigten Staaten von Amerika befinden sich gefühlt seit 2016 im Dauerwahlkampf. Wobei hier der Aspekt „Kampf“ neue Dimensionen erreicht hat. Seit der Wahl von Donald John Trump zum 45. Präsidenten ist die anfängliche Schockstarre mehr und mehr einem aktiven Widerstand gewichen. Eine wirkliche nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Demokraten und Trump, zur Adressierung der akuten Herausforderungen, war von beiden Seiten nie nachhaltig versucht worden. So wie in weiten Teilen die damalige republikanische Mehrheit im US-Kongress den Vorhaben des demokratischen Präsidenten Barack Obama nahezu durchgängig mit Fundamentalopposition begegnet ist, so gestaltet sich dies zwischen Trump und der seit 2018 vorhandenen demokratischen Mehrheit im US-Repräsentantenhaus. Man will oder man kann nicht akzeptieren, dass eine Fernsehpersönlichkeit ohne jedwede politische Erfahrung, und mit einer spalterischen Rhetorik, „Commander in Chief“ der Führungsnation der freien Welt ist. Und bevor sich manchen der Vergleich zu Ronald Reagan aufdrängt so sei der Hinweis gegeben, dass der ehemalige US-Präsident, als Gouverneur von Kalifornien mit zwei Amtsperioden an der Spitze des bevölkerungsreichsten US-Bundesstaats, auf belastbaren Regierungserfahrungen aufbauen konnte. Nach innen bemühte sich der „Great Communicator“ stets die Nation, in ihrer Vielfalt, in einem verbindenden Patriotismus zu einem sowie an ihre Gründungswerte zu appellieren.

Aber, zurück zur Auseinandersetzung zwischen den Demokraten und dem Etiketten-Republikaner im Weißen Haus. Der New Yorker Immobilienmogul steht, für eine Mehrheit der Bevölkerung, im Widerspruch zu den Werten und Vorstellungen, nach denen die USA in ihrer fast 250-jährigen Geschichte stets gestrebt haben – Freiheit und Gerechtigkeit für Alle sowie dem Recht nach seinem eigenen Glück zu streben, unabhängig von der Herkunft. Für viele war es, gerade nach der Präsidentschaft des ersten Afroamerikaners sowie der anhaltenden demografischen Veränderungen in den Vereinigten Staaten, eine Überraschung als sich Trump im November 2016 gegen die ehemalige First Lady, New Yorker Senatorin und Außenministerin Hillary Clinton durchsetzte. Man verstand nicht, wieso eine erfahrene und lang gediente Politikerin sich nicht gegen einen unseriös und unprofessionell wirkenden Populisten durchsetzen konnte, der v.a. mit Ressentiments und teilweise offenen rassistischen Aussagen den Nachrichtenzyklus dominierte. Wer nun genau gelesen hat, wird in der Fragestellung bereits den Kern der Antwort finden. Die Wahl von Donald Trump war die Trotzreaktion einer Wahlbevölkerung, die bis heute nur zu ca. einem Fünftel den politischen Institutionen und dem sogenannten Establishment zutraut, die Probleme des Landes zu lösen. Clinton eignete sich hervorragend als Projektionsfläche für alle Vorwürfe und Vorbehalte gegen die herrschenden Eliten und ihrer als überzogen empfundenen „Political Correctness“. Donald Trump, dessen erratische Persönlichkeit als authentisch aufgefasst wurde, konnte sich hingegen, mit seinem über das Fernsehen kultivierten Image als entscheidungsstarke Unternehmerpersönlichkeit, als willkommene Alternative positionieren. Denn Authentizität und damit Glaubwürdigkeit in Verbindung mit klaren Aussagen waren wesentliche Merkmale, nachdem sich viele Wähler bei ihren gewählten Vertretern sehnten.

Das Resultat ist die Präsidentschaft eines Mannes, der den Respekt gegenüber den rechtsstaatlichen Institutionen danach bemisst, welchen Nutzen sie bringen und untergräbt dementsprechend die Mechanismen von „Checks and Balances“, wenn diese seinen Zielen im Wege stehen. Dieses Vorgehen, also das Schleifen von Institutionen der Legislative und Judikative kündigte er dezidiert während seines Wahlkampfes, unter den Schlachtrufen „Drain the swamp“ und der Verurteilung der „Corrupt Politicians“ in Washington, an. Wovon waren die Jahre der ersten Amtszeit von Donald Trump eigentlich genau geprägt? Hierzu muss man sich die Mühe machen, beide Seiten dieses hoch polarisierten Landes zu betrachten.

Für die Anhänger des US-Präsidenten waren die letzten Jahre eine Periode der politischen Siege. Von den gestiegenen Verteidigungsausgaben und Steuersenkungen, über die Ernennung von konservativen Verfassungs- und Bundesrichtern (184 bis 04. Februar), bis hin zum stärkeren Kampf gegen illegale Immigration und dem Auftakt zur Ertüchtigung des Außengrenzschutzes. „America First“ bedeutet für viele, die Donald Trump aktiv unterstützen oder zumindest dulden, stärkere Abschottung nach außen und einen reaktionären Revisionismus nach innen.
In Bezug auf die Außenbeziehungen ist es seit Jahren für eine Mehrheit der Amerikaner wichtig, bei der Lastenverteilung zwischen den USA und ihren Verbündeten, eine als überfällig wahrgenommene Verteilungsgerechtigkeit herzustellen. Nach den Erfahrungen aus Afghanistan und Irak, der daraus erwachsenen Kriegsmüdigkeit und der letztendlichen Einsicht, dass die eigenen Ressourcen endlich sind, wurde die Frage immer offener gestellt, wieso mit amerikanischem Blut und Geld für andere Länder Sicherheit erkauft werde. Gerade gegenüber Europa wurde diese Frage mit verstärkter Intensität gestellt, da es dem alten Kontinent offensichtlich am Willen mangelte für die eigene Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit das notwendige politische und v.a. finanzielle Kapital zur Verfügung zu stellen.

Die größeren Zusammenhänge und Interdependenzen erschließen sich einer Bevölkerung auch nur bedingt, wenn sie sich zum Großteil mit Entwicklungen jenseits ihres Landes nur in einem begrenzten Maß beschäftigen. Und wenn sie es tun überwiegen Impressionen von Bedrohungen für Amerika – sei es Terrorismus, Krieg, Abfluss des eigenen Wohlstands durch ein hohes Außenhandelsdefizit oder der Verlagerung von Arbeitsplätzen. Dieser kritischen geopolitischen Perzeption, die sich im Wunsch eines militärischen Rückzugs aus der Welt sowie einer wachsenden Ablehnung von globalem Freihandel manifestiert, bedient sich Trump. Zweck seiner Performanz als starker Mann gegenüber internationalen Akteuren ist seine politische Stabilisierung nach innen. Und, es funktioniert.

Aus der Sicht seiner Gegner stellt sich die Sache anders dar. Der Präsident habe es zu verantworten, dass die Spaltung in der Gesellschaft sich wieder weiter vertieft und der Rassismus offener zutage tritt. Trotz des anhaltenden Wirtschaftswachstums, dessen Ursprünge weit vor dem Amtsantritt von Trump liegen, wachse die Ungerechtigkeit in der Vermögensverteilung. Viele Menschen könnten, in einer Phase eines breiten Reallohnanstiegs und dem Aufwuchs von Millionen von Arbeitsplätzen, selbst bei zwei oder drei Jobs nicht für ihr Auskommen sorgen. Vermeintliche Fortschritte der Obama-Administration in der Befriedung innergesellschaftlicher Konfliktlinien, die historisch tief verwurzelt und bis heute nicht final gelöst sind, wurden revidiert oder werden proaktiv bekämpft. Sei es die Gleichstellung von Minderheiten, über die Etablierung einer allgemein zugänglichen Gesundheitsversorgung bis hin zu stärkeren Regulierungen in den Bereichen Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitsschutz sowie des Finanzmarktes. All diese Errungenschaften werden, unter den verschiedensten Begründungen, sei es zum Zweck des Bürokratieabbaus, dem Versprechen einer besseren Alternative (bspw. Ersatz für den Affordable Care Act) oder vermeintlichen Interessenskonflikten (z. B. Umweltauflagen bei Gas- und Ölgewinnung), zunichtegemacht.

Bei der Betrachtung dieser stark verkürzten Gemengelage stellt sich einem instinktiv die Frage, wie es weitergehen kann in den USA? Beim Urnengang am 03. November, wo ein Potenzial von ca. 250 Millionen Wahlberechtigten nicht nur über die Bilanz von Donald Trump abstimmen, sondern auch über die Politik der nächsten vier Jahre entscheiden, wird man nicht davon ausgehen können diese Spaltung zu überwinden. Beide Lager sind hoch mobilisiert und motiviert, den politischen Gegner zu schlagen. Am Ende wird die Höhe der Wahlbeteiligung in entscheidenden Swing-States wie Ohio, Pennsylvania und Florida den Ausschlag geben. Welches Lager, der Eigendynamik des Wahlkampfes sowie der immer kurzfristigeren Entscheidungsfindung von Wählern ausgesetzt, tatsächlich erfolgreicher mobilisiert wird erst am Wahltag feststehen. Viele Facetten amerikanischer Politik werden bis dahin in die Entscheidungsfindung einfließen und die Stimmungslage in der Bevölkerung prägen. Facetten wie die Wirtschaftslage, der Einsatz hoher Vermögen im Wahlkampf und damit der Aspekt der Käuflichkeit öffentlicher Ämter, die Deutungshoheit über den Ausgang des Impeachment-Verfahrens, eine parteiische Medienlandschaft, bis hin zu den programmatischen Vorstellungen der Kandidaten. Die Botschaften zur Lösung der real existierenden Probleme sowie der Begleittext der politischen Kommunikation der Wahlkämpfer werden in der Grundsatzfrage für jeden Einzelnen münden: wähle ich lieber das bekannte oder das unbekannte Übel?

Der Vorwahlprozess, der die Grundlage für die Wahlentscheidung herbeiführen soll, hat gerade erst begonnen. Bei den Republikanern ist er durch die Vorfestlegung auf den Amtsinhaber bereits entschieden. Während die Demokraten eher das Bild eines unentschlossenen und chaotischen Haufens hinterlassen, der Schwierigkeiten damit hat die parteiinterne Abstimmung in einem Staat des mittleren Westens zu organisieren, bei der gerade einmal 1,03 % der 3.979 wählbaren Delegierten für den Nominierungsparteitag bestimmt werden. Gestartet mit fast 30 Kandidaten scheint sich das Feld ernstzunehmender Aspiranten um die Nominierung bei den Demokraten auf vier Personen zu konsolidieren. Mit den Senatoren Sanders und Warren sowie dem ehemaligen Vizepräsidenten Biden treten drei Persönlichkeiten an, die sich im selben Altersspektrum zwischen Anfang und Ende 70 wie Donald Trump befinden. Sanders profiliert sich als Sozialist, Biden verkörpert den Ansatz einer dritten Obama-Amtszeit und Warren versucht sich irgendwo dazwischen zu positionieren. Mit einem knappen Überraschungssieg aus den Vorwahlen in Iowa hat sich der ehem. Bürgermeister der 101.000-Einwohner zählenden Stadt South Band (Indiana), Pete Buttigieg, als vierter Anwärter hervorgetan. Mit seiner Mischung aus einem sehr guten Bildungshintergrund, Leistungsbereitschaft, seinem Dienst im Militär und als Stadtoberhaupt sowie seiner persönlichen Biografie als Homosexueller im konservativen Heimatstaat von US-Vizepräsident Mike Pence könnte sich dieser 38-jährige Newcomer als neue vielversprechende Projektionsfläche für die Anhänger der Demokraten erweisen. Aus Sicht der Demokraten könnte er für ein Amerika stehen, dass seine Werte ins 21. Jahrhundert überführt. Seine Kernbotschaft appelliert kontinuierlich an das Verbindende, um so auch der spalterischen Rhetorik des US-Präsidenten begegnen zu können. Der Mangel an Lebensjahren und politischer Erfahrung hat die Basis der Demokraten bereits in der Vergangenheit nicht gestört. Der US-Journalist Fareed Zakaria subsumierte in seiner auf CNN ausgestrahlten Sendung am 09. Februar das Verhältnis der Parteien zu ihren Kandidaten sehr treffen: „Democrats fall in love, Republicans fall in line with their candidate.“ Buttigieg könnte dieses Kriterium erfüllen, die Zuneigung der Demokraten auf sich zu vereinen. Er wäre ein Kontrastprogramm zum Amtsinhaber und dadurch möglicherweise ein attraktiveres Angebot im Vergleich zum weiteren Bewerberfeld. Ein belastbarer Trend wird ab dem „Super-Tuesday“ am 03. März abzusehen sein, wenn bis dahin insgesamt 20 Bundesstaaten (u. a. Kalifornien und Texas) und Überseeterritorien ihre Vorwahlen durchgeführt und ca. 38 % der Delegierten auf die Kandidatenlager verteilt wurden.

Es wird schwierig für die Demokraten einen konsistenten Führungs- und Gestaltungsanspruch aus der Vielfalt und Konkurrenz ihrer eigenen Positionen für ein 340 Millionen Volk zu formulieren. Einen der die Amerikaner dazu bringen soll den Amtsinhaber abzuwählen, der ihre wirtschaftliche Situation in vielen Fällen verbessert hat und den eigenen Alltag nicht sonderlich stört. Dabei stehen sehr viele akute Punkte auf der Agenda, die nur gemeinsam von der kommenden Administration und dem US-Kongress angegangen werden können: die Konsolidierung des über 23 Billionen US-Dollar hohen Schuldenbergs, die grassierende Drogensituation, die bröckelnde Infrastruktur sowie die eskalierende Systemrivalität mit China… um nur einen Bruchteil zu nennen. Geprägt von der jeweiligen Ausgangssituation, entspricht es der Natur einer jeden Wahl zu bestimmen, was für eine Republik die USA sein wollen. Eine Republik „of, by and for the people“? Oder der divergierenden Interessensgruppen aus Wirtschaft, Religion, Politik, Waffenlobby und Gesellschaft? Wollen die Vereinigten Staaten weiterhin eine globale Führungsnation sein, die sich auf ihre multilateralen Grundüberzeugungen zurückbesinnt? Oder wollen sie sich dem Ränkespiel im Sinne der „Macht des Stärkeren“ hingeben? Die Blicke der ganzen Welt, v.a. aus Europa, werden gespannt auf dieser demokratischen Auseinandersetzung wohnen. Bei vielen in der Hoffnung, dass im Januar 2021 eine 46. Präsidentschaft in Washington anbrechen wird. Wir sollten uns aber nicht der Illusion hingeben, dass ein neuer Kopf im Weißen Haus mehr sein wird als eine Veränderung in Ton und Umgang miteinander. Die grundlegende politische Neuordnung der USA wird sich unabhängig vom Wahlausgang fortsetzen. Aber, es wird auch an uns Europäern liegen daran mitzuwirken, dass diese Neuordnung im Sinne unserer Ideen, Interessen und Werte erfolgt: „… that this nation, under God, shall have a new birth of freedom – and that government of the people, by the people, for the people, shall not perish from the earth” (Abraham Lincoln).

Beitragsbild: Element5 Digital/Unsplash

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